- Details
- Zugriffe: 32690
- Details
- Zugriffe: 29484
Über die Komplexität und die Einfachheit Es gibt Arbeiten, die aus zwei, drei Setzungen sich bilden und eine enorme Kraft haben. In ihrer Offenheit und Reduzierung können Sie den Betrachter provozieren. Ihre gelungene Farbigkeit aber lädt ein zur Wahrnehmung des grundlegenden Tuns des Malers. Mein Ideal ist diese selbstbewusste, erfahrene Umsetzung, sie sich in wenigen Strichen manifestieren kann und in ihrer poetischen Einfachheit unwiderruflich besteht. Diese Einfachheit stellt klar wo die Gewichtungen liegen in der Kunst und vermittelt dem Betrachter keine unnötigen, ablenkenden Illusionen. Ich freue mich, wenn eine Idee sinnlich wahrgenommen werden kann und es ist besonders das Einfache, das es schafft, den Betrachter nur auf zwei oder drei Farbflächen zu verweisen. Die Probleme dabei sind natürlich die kritische Haltung und die erforderliche Sensibilität, aber damit muss man den Betrachter offensichtlich konfrontieren. Für mich selbst ist es der Moment des Aushaltens, der Wahrnehmung der Kraft, um zu dieser deutlichen Setzung zu gelangen. In ein oder zwei Sätzen etwas sagen, das man in zwei Seiten Text vielleicht umschreiben könnte, aber in einer klaren Setzung unmittelbar begreiflich macht. Das zeitgenössische Bild reduziert sich, stellt A gegen B und reflektiert so vielleicht schon unser ganzes Sein. Demgegenüber entstehen komplexe Schichtungen, Verdichtungen, Überlagerungen, Erzählungen, Reisen, die stark über das Momentane hinaus gehen, die ganz bewusst Farbkontraste entstehen lassen, die nicht dem Moment überlassen werden können, nicht nur jetzt entstehen können. Diese Bilder entstehen durch Einflussnahme von Zeit, von komplexen Zeiträumen, von Veränderungen. Sie vereinen Widersprüche, schwankende Positionen, unterschiedliche Charaktere, unterschiedliche Materialitäten von Farben und bilden einen erzählerischen Charakter: verbergen sich, überlagern sich, entstehen aus Ablagerungen von Zeit (wie bei Per Kirkeby), zwischen verschiedenen Systemen (wie bei Albert Oehlen) oder durch intellektuelle Strategien (wie bei Gerhard Richter). Es entstehen Symphonien mit einer enormen Dichte an Erlebnissen, die sich immer wieder neu zueinander ordnen, den Betrachter immer wieder in Bewegung halten und sich offen halten. Das sind die komplexen, die verdichteten Bilder mit zehn oder dreißig Schichten, an denen ich über Wochen male, die sowohl die Malwut, die Mallust, die Enttäuschung, die Frustration, die Ziellosigkeit auffangen zu einem komplexeren übergeordneten Bild meines Tuns. Also das reine Malen zeigt sich sowohl im Moment, als auch in der komplexeren zeitorientierten Komposition. Das poetische Nadelöhr der Wahrnehmung begreifbar machen und die Komplexität der Welt spiegeln. Es gibt diesen Widerspruch und die Sehnsucht sowohl nach dem einen als auch dem anderen, und es ist nur ein Moment in dem ich das Einfache verlasse und das Bild einen neuen komplexeren Status erreicht. Irgendwo dazwischen entsteht eine Melodie, ein paar Töne, ein Zweizeiler, ein Gedicht. Es ist Zweifel, der die komplexe Struktur schafft und es ist die Bewusstheit und Sicherheit, die das Einfache erhält und trägt. 13.11.13 Axel Plöger |
- Details
- Zugriffe: 30003
Autobiografisches Arbeiten Ich male gerade und beobachte mich dabei selbst: Was mir so im Kopf herum geht, worüber ich nachdenke, wenn ich male. Ich male große flächige Formen mit großem breiten Pinsel, aber auch feine Linien. Es sind Strukturen, die abgelöst werden durch einzelne Setzungen. Mir geht es immer mehr um Sensibilität und Präzision im Auflegen der Farbe mit dem Pinsel, das Ausbreiten auf der Leinwand bzw. hier auf dem Papier, die spontane Aktion und der Prozess, der sich dadurch darstellt. Im Hintergrund Musik von Philipp Glass „Facades“. Das Ganze vermittelt mir gerade ein Gefühl der Hoffnung, die große Kraft auf dem Grund der Melancholie, als Gegenpol zu der Nichtexistenz des Seins, das ich als solches nicht wahrnehmen kann. Im Moment des Malens spüre ich mich und verstehe Existenz durch das was ich tue und also bin. Und das sehe ich in der Ausbreitung eines weißen Fleckes, seiner Form auf einem gebrochen grünen Untergrund. Dort ist genau das Thema, das mich interessiert. Manchmal möchte ich es sehr genau formulieren, um es in einer sprachlichen Form festzuhalten, die verständlicher ist, als es in der Farbe erscheint. Aber das ist natürlich so nicht möglich: Das Schöne ist das Bild und das Schöne ist die Farbe, wenn sie funktioniert, über die Sinne unmittelbar wirkt. Klare einfache Farben, das ist es was ich suche. Es gibt die Momente des zutiefst verbrochenen, des melancholischen In-mir-Seins, die Trägheit, die Langeweile, die Aussichtslosigkeit, die Sinnlosigkeit malerischen Tuns, das Unvorhandensein, das Unglaubliche. Und dann gibt es das Moment, da es funktioniert, die Bestätigung, wenn es funktioniert. Die Frage des Malens ist nicht die, welche Farbe das vorhandene Bild fordert, sondern mein Impuls muss sich gegenüber dem Vorhandenen definieren. So entsteht Diskussion, Dissonanz, Resonanz, es entsteht eine Beziehung zwischen dem vorhandenen Bildraum und dem momentanen Eingriff, ein Reagieren, ein Solieren, ein Auftreten im Moment des Malens gegenüber dem vorhandenen Farbaum: Raum, System, Linie, Solo sind musikalische Ideen der Improvisation, des Aufklingenlassens von Verwandtschaften. Und immer wieder die Frage nach dem eigenen Platz, dem Raum, den ich einnehmen muss, den das Blau braucht oder das Rot, wenn es sich ausbreitet auf dem gelben Raum. Der Hintergrund, das vorhandene Bild, ist ein Raum. Ich reagiere immer auf einen Farbraum. Und ich greife ein mit einer Linie, einem Punkt, einem System, mit einer Fläche, einer Zerstörung, also mit etwas aus mir heraus motiviertem, ich nehme eine Gegenposition ein, eine von dem Raum verschiedene. Ich trete mit dem Farbraum in Kommunikation durch das Moment des Setzens. Dadurch entsteht zwangsläufig eine Spannung, die sich manchmal hält und gut ist, sich oft aber auch auflöst, verblasst, verwässert, sich anpasst und langfristig die Spannung nicht hält. So entstehen unterschiedliche Qualitäten. Dabei geht nie darum, und das ist mir wichtig, eine gestalterische Methodik zu betreiben. Obwohl die benutzten Techniken durchaus von formalen Erfahrungen geprägt sind, geht es mir aber ganz entschieden nicht um formale Untersuchungen: kein Abarbeiten von Möglichkeiten, kein Deklinieren, kein Konjugieren von Versionen, von Konstellationen, sondern immer um das Moment des neuen Eingriffes, der neuen Idee. Wobei die Idee nicht mehr ist, als der augenblickliche Standpunkt als Maler. Aus dieser lebendigen Position entsteht jegliche Form und ist somit reinen Inhalts. Sie entsteht aus dem bewusst Erfahrenen, dem Vergessenen, Unbewusstem, noch nicht Gewusstem, dem sinnlich Erfahrenen, als deutliche Setzung gegen die Wiederholung, gegen System, gegen Abarbeiten von Themen, Techniken und Tricks und vor allem gegen den Zufall, der mir im Moment des Malens immer wieder die Hand reichen möchte. Der Zufall bezaubert, verwirrt und ist meine stärkste Herausforderung und Inspiration, fordert mich aber immer wieder, mich selbst zu definieren, darzustellen im Moment des Machens. D. h., die Farbe auf dem Pinsel geht auf das Papier, auf den Farbraum und stellt einen singulären, einen vereinzelten Farbfleck dar, eine Linie, eine Lasur, eine Figuration, die sich gegen den Raum behauptet. Im Grunde: Figur und Raum, als zutiefst autobiografisches Thema; gegen die Zufälligkeit des Seins setze ich meine Autobiografie. Durch meine malerische Arbeitslinie entsteht eine Sinnhaftigkeit, die mich als Ich definiert, aber auch als Mensch, als gesellschaftliches Wesen, als politisches Wesen, in der Gruppe. Wobei meine Motivation vorwiegend aus einem melancholischen, Ich-fühlenden Wesen entsteht. Ich male mit der großen Hoffnung, Neues zu entdecken. Malen ist somit Prozess und Dokumentation zugleich, der so eine Art von Person, eine künstlerische Person bildet. Im Moment des Malens ist das Bild aktuell, der Raum spürbar. Es entsteht ein Jetzt, das mit der Farbe trocknet, zu Vergangenem wird, zu Bild. Das Bild ist Dokument vergangenen Seins, der Farbraum ist interpretiertes Bild. Malen ist das zeitlose Schaffen eines neuen Jetzt. Dieser Kreislauf ist der künstlerische Prozess, ein autobiografischer Prozess, der sich selbst bestätigt, sich selbst kritisiert, der versucht, offen zu sein im Moment der Entstehung. Meine Kriterien sind: Langeweile, Zufall, Raum, Rhythmus, Klang, Landschaft, Illusion, Balance, Gegensätze. Die Kriterien des Betrachters entspringen grundsätzlich seiner eigenen Betrachtung, seiner Position gegenüber Gesellschaft, darin Kunst, darin verschiedene künstlerische Formen, darin Malerei als formelles farbiges Erlebnis verschiedener Formen und Techniken. Das eigene Erleben, die eigene Wahrnehmung interpretiert, empfindet unmittelbar und versucht zu begreifen, zu erkunden, ist oberflächlich, fühlt sich herausgefordert hinter die Oberfläche zu gucken. Wiederholtes Gucken wird provoziert, Assoziationen stellen sich ein, Verbindungen zu anderen, den mitgebrachten Bildern in der Tasche. Der Bezug zu meiner Autobiografie schafft einen sich selbst bewussten Spiegel, in den der Betrachter sieht. Dieser Spiegel bleibt unergründlich, gerade in seiner Offenheit und Kritikfähigkeit undurchdringlich, nicht entschlüsselbar und somit Kunstwerk. 13.11.13 Axel Plöger |
- Details
- Zugriffe: 18081
Vom Klang der Bilder Axel Plöger: Ich habe das immer gesucht in den Bildern, diese kraftvolle Freiheit wie bei de Kooning und dann aber diesen klaren Rahmen dagegen zu setzen. Andreas Fuchs: Meinst du den Rahmen im Sinne von Veranstaltungen oder den Rahmen im Sinne von Einfassung des Bildes? AP: Ja, der Rahmen im Sinne von Veranstaltungen und Einfassung des Bildes. Der Rahmen ist die Begegnung zum Raum in dem ich ausstelle, zu den Betrachtern. Da ist so eine ganz äußere Form, die dem Bild entgegenwirkt. AF: Wobei der Rahmen ja auch begrenzt. AP: Ja, das ist dieser Effekt, man kennt das, wenn man in der Malerei etwas abklebt und dann so eine freie Struktur darüber kommt, eine sehr bewegte Geschichte und dann zieht man das Abgeklebte wieder ab und dann hast du so eine ganz klare Kante. Da passiert ja etwas. Oder auch wenn du so einen weißen Rahmen über ein Bild legst und du schneidest damit etwas aus, da passiert etwas, in dem Moment setzt du den Fokus auf ein Detail des Bildes und es kriegt eine sehr starke Form von außen. Durch die Abgrenzung, durch einen Fokus, der gesetzt wird. AF: Aber wenn du ein Passepartout darüberlegst und dich so fokussierst auf einen Aspekt des Bildes, dann deckst du den Rest ab - unter diesem Passepartout geht das Bild ja weiter. Und genau das meine ich, ich hatte mich sehr gewundert: Bei der letzten Ausstellung „Stark“ (LKB, Eichenmüllerhaus 2020) hingen deine wunderbaren Bilder da so im Winkel und dann kam Axel plötzlich und setzte einen Rahmen um die Bilder. Da habe ich gedacht, für deine Bilder bräuchte es keinen Rahmen, denn sie sind so angelegt, zumindest waren diese Bilder das, dass sie über den Rahmen über die Rahmenkante weitergedacht werden können.
AP: Ich finde es gerade so gut. Durch den Rahmen kriegen die Bilder vielmehr Kraft. Gerade diese Abgrenzung, dieser Fokus, das ist der Moment des Präzisierens, dessen was ich meine. Natürlich geht das Bild darüber hinaus. Ich komme hier im Atelier an, meine Bilder fangen irgendwann an und hören irgendwann auf. Das kann ein Prozess von Monaten sein. Und ich mach das an mehreren Arbeiten gleichzeitig. Das ist ein Prozess wie in einem Netzwerk voller Ideen und Gefühle. Ich setze aber solche Rahmen, um Aussagen zu schaffen. AF: Das heißt also, dass du damit signalisierst: Der Prozess ist zu Ende für diese konkrete Situation. AP: Ja, ich signalisiere: Das ist meine präzise Aussage, das ist genau das was ich will. Natürlich kann ich das Bild auch weiter malen. Aber dass es in diesem Zustand jetzt gerade zum Ende kommt oder quasi angehalten wird als eine Art Gegenwartsaufnahme, das passiert ja nur dadurch, dass ich in diesem Moment etwas formulieren will. Weil ich sage: Das ist jetzt mein Bild. Das ist mein Song. Da muss Entscheidung und auch Präzision sein für mich. Das ist es was der Betrachter sieht, was er sehen soll. Da ist eine ganz klare Entscheidung, auch wenn vieles andere in meiner Arbeit chaotisch, emotional und autobiographisch gefärbt ist. Das ist ein wichtiger Moment, gerade weil ich eine sehr intuitive, oft grobmotorische Malweise habe mit breiten Spachteln und dicken Pinseln. Es muss nicht jedes Bild einen wirklichen Rahmen haben, gerade wenn man etwas stärkere Keilrahmen hat und grobe Leinwand, dann sieht das auch so gut aus. Aber das Wesen des Rahmens ist die präzise Aussage. AF: Wenn mehrere Bilder dann zueinander finden, das heißt da taucht jetzt im Abstand von zehn Zentimeter ein zweites auf, das sitzt daneben, und darüber ist dann noch eins. Es entsteht ein ja Dialog, ein Gespräch zwischen diesen Bildern. Man vergleicht als Rezipient, man guckt, wie ist es gemacht, gibt es Ähnlichkeiten und wie sprechen sie miteinander. Ist das dann auch eine bewusste Setzung und hilft da dieser Rahmen als Hinweis auf diese eigenständige Position eines jeden Bildes weiter diesen Dialog zu führen oder ist er da auch ein bisschen hinderlich vielleicht? AP: Nein, die Hängung ist die Fortsetzung des Rahmens. des klaren Ausschnitts. Da ist das Bild, da ist der Rahmen, dann kommt die Wand und dann kommt der Raum. Ich muss natürlich genau gucken, habe ich jetzt zwei oder drei auf der Wand und ich würde immer zu klaren geometrischen Anordnung neigen, um diese Stärke des Rahmens durch die Hängung zu verstärken. Je klarer die Hängung desto kraftvoller die Malerei in den Bildern. Es gibt ja auch viele Kollegen, die malen den Rahmen an, malen über das Bild hinaus. Das könnte ich natürlich auch tun. In dem Sinne könnte ich auch die Leinwand weglassen und direkt die Farbe auf die Wand auftragen, aber das wäre etwas das mir nicht entspricht. Das Malen passiert in den Bildern, das ist mein interner Prozess in dem ich mich bewege und gerade das ist für mich ein befreiender und wichtiger Moment wenn ich so eine klare Struktur darüber setze. Ich brauche das richtig, es ist ein Halt in dieser ganzen Entscheidungsfindung und auch eine Abgrenzung in der Präsentation zum Publikum. AF: Du sprichst davon, dass deine Bilder Tiefe haben, wobei du viele Schichten aufträgst - häufig in der Fläche. Da hinten hängt zum Beispiel ein Bild an der Wand, das ist schwarz. Da sind horizontale ausgerichtete Strichlage übereinander und die anderen sind vertikal gerichtet aber sehr viel dynamischer. Blickt man auf dieses Bild, dann ist es eigentlich nur schwarz. Und ich finde dann interessant was bei dir am Rand passiert, da entsteht auch ein Rahmen, der diese große Aktion des Dunklen begleitet. Und es ist häufig total faszinierend, was am Rand geschieht als Rahmen. Dann denke ich mir manchmal die große Aktion einfach weg und sehe dann nur noch diesen Rahmen. Ich bin dann fasziniert davon, was alles unter diesem dunklen Geschehen ist. Inwieweit spielt das was vorher geschehen ist eine Rolle für das Ganze?
AP: Es sind drei Begriffe, die da interessant sind. Das eine ist der Raum. Dann sind es die vielen Schichten, die sehr dicht übereinander sind. Und dann ist es so, wenn ich vor meinen Bildern stehe: Sie sind unheimlich dicht. Die Bilder gehen nach vorne. Es gibt eigentlich wenig Raum in den man rein gehen kann. Viele Betrachter sagen wir, dass sie zwei oder dreimal Anlauf brauchen bis sie überhaupt in die Bilder rein kommen. Dass sie erstmal wie vor einer Farbwand stehen. Die Arbeiten sind eben sehr dicht, ich bin kein Casper David Friedrich bei dem sich so ein Fenster in die Welt öffnet und man das Gefühl hat, da möchte ich jetzt weit reingucken. Es ist eher eine Dichtheit des Raumes und der Farbe sehr nahe an der Oberfläche. Wie man das bei Van Gogh zum Beispiel kennt, der auch so stark an der Oberfläche ist und eigentlich ganz wenig tiefen Raum zulässt. Das ist erstmal das was ich suche. Wenn ich aber von Farbraum spreche, dann meine ich das was zwischen den Farben passiert, denn da entstehen plötzlich auf einer malerischen Art Räume, weil Farben sich nicht flächig behandeln lassen. Farbe, wenn sie als Farbe funktioniert schafft immer Raum. Einen ganz anderen, einen inneren Raum und der bewegt sich auf den Betrachter zu. AF: Aber das was da am Rand passiert, das gibt diesem Raum Platz, der in die Tiefe geht, der darunter liegendes sichtbar macht, der Hinweise gibt, dass da schon etwas geschehen ist und nicht nur das was vorne rausspringt hat dann die Bedeutsamkeit, sondern auch das was darunter sich befindet. Da nochmal die Frage, wie weit ist dieses was darunter liegt bedeutsam? AP: Das ist einmal diese, nach vorne offene Fläche die ich suche. Und dann ist es aber so, bei längerem Betrachten findet man diese Ränder, die immer da sind. Ich gehe nie bis zum Rand mit dem Pinsel, sondern da sind immer diese Seitenräume in die man rein gucken kann. Jede Fläche funktioniert immer über zwei, drei Schichten. Da ist nie nur eine Farbe sondern es ist immer noch eine Struktur darunter. Und dieses Durchschimmern, manchmal transparent manchmal einfach überlagernd in mehreren Brauntönen, das macht eigentlich diesen Raum aus, den ich suche. Was ich aber wahrnehme und was man auch unmittelbar spürt, wenn man den Bildern gegenübersteht, sind eben diese vielen Schichten, diese Geschichte die dahinter steckt. Also man spürt den Prozess, man sieht, dass dieses eigentlich schwarze Bild nicht nur schwarz ist, dass da hinter noch andere Farbtöne sind. Man kann das sehr genau wahrnehmen, wenn man die Ränder studiert. AF: Das ist vom Begriff schon interessant: Die Geschichte, das ist eine Tiefe im Sinne eines Prozess. Ich erzähle eine Geschichte und das heißt „ich schichte Dinge übereinander und im Sinne einer Erzählung“. AP: Zu den Schichten in der Malerei gibt es unterschiedliche Interpretationen. Bei Per Kirkeby, der ja auch Geologe ist, vergleicht man es mit Erdschichten, die sich wie Sedimente ablagern unter der Oberfläche. Das ist auch ein sehr schönes Bild. Bei mir ist es eher in einem fast literarischen Sinne zu verstehen, dass sich autobiographisches ansammelt in einem Prozess und hinterher einfach nur noch spürbar ist, was alles schon passiert ist auf diesem Bild. Und letztendlich sehe ich nur ein paar Farben als sichtbare Oberfläche eines manchmal monatelangen Prozesses. AF: Wenn du dich in die Reihe von Künstlern stellen würdest, die dich begleitet haben oder die dir sehr wichtig waren, wen würdest du dann nennen, als jemanden der dich wirklich so fasziniert hat, dass du aus seinem Wirken wirklich geschöpft hast für deine Kunst? AP: Wirklich sehr stark prägend war schon die Begegnung mit den Arbeiten von Willem de Kooning in meiner Studienzeit, einer der Hauptvertreter des amerikanischen Expressionismus der 50er Jahre, wie auch Jackson Pollock und Franz Kline. Aber De Kooning ist schon der, der mich mit seiner wirklich fantastischen Farbigkeit und auch diesen besonderen prozesshaften Arbeiten total fasziniert hat. Das hat mich als junger Mensch beeindruckt und tut es auch noch heute. Dieses Konzept, sehr lange an einem Bild zu arbeiten, hat De Kooning stark entwickelt. Er hat sogar spezielle Öle genutzt wie Mohnöl, die erst nach Jahren aushärten. Wie in seinen berühmten „Woman“-Bilder, Frauenbilder an denen er manchmal ein Jahr lang gearbeitet hat. Immer wieder Farbe weggenommen und neu gesetzt. Und eben dieses Schichten von Setzungen, das hat mich sehr beeindruckt und ist für mich etwas durchweg malerisches. Das hat starken Einfluss auf mich gehabt. Aber auch so jemand wie Max Beckmann, der da auch sehr ähnlich war und auch ganze Bilder wieder abgekratzt hat und völlig neu aufgebaut hat und aus diesem ganzen dazwischen entwickelt sich dann die Farbigkeit. Das finde ich toll, das hat mich fasziniert. AF: Wenn man so ein Malprozess beginnt hat man ja immer diese Angst vor der weißen Leinwand: Wo fange ich jetzt an und wie beginne ich. Es ist ja nie ein fröhlich spontanes Handeln, das da stattfindet, sondern es ist schon physischer Schritt. Wir haben von Agnes Martin gesprochen, wie sie in ihrem Stuhl sitzt und man könnte fast synonym sagen, sie sitzt dann vor ihrer Leinwand und lässt alles Revue passieren und alles findet statt in ihr. Und dann sagtest du, sie steht auf und beginnt. Als sei alles so in ihr herangereift, dass sie dann weiß was zu tun ist. Ist das bei dir auch so wenn du mit dem Malen beginnst oder arbeitest du dich erst hinein? AP: Das ist bei mir komplett entgegengesetzt. Ich bewundere das, wenn ich das bei Menschen wie zum Beispiel Agnes Martin beobachte. Das ist aber eine Herangehensweise, die für mich überhaupt nicht funktioniert. Bei mir geht es eigentlich ganz anders, ich versuche in so einem Prozess möglichst einfach einzusteigen. Ich habe natürlich grundsätzliche Ideen wie es weitergeht, die sind aber sehr stark von dem geprägt was ich letzte Woche gemacht habe oder letzten Monat. Und dann geht es vielleicht einen Schritt weiter oder ich mache auf der Basis weiter, das heißt die leere Leinwand ist für mich überhaupt nicht leer, sondern das ist einfach ein neuer Bildträger auf dem das passiert was ich auf vorhergehen Bildern entwickelt habe. Es gibt aber diesen Moment des Anfangs, der von viel technischen Dingen geprägt ist, da wird erstmal grundiert, das hat aber keine endgültige Bedeutung für das was nachher rauskommt. Es ist einfach der erste Schritt und es geht mir auch darum eine Malfreude oder auch Malwut zu entwickeln. AF: Könnte man das technisch vergleichen, wenn man sagt, ich setz mich ins Auto und das ist kalt. Also lass ich den Motor an und fahre an und dann ist er warm. Dann bin ich in meinem Element und dann läuft es und dann gestalte ich, dann entwickelte ich, dann bin ich in diesem Prozess?
AP: Ich würde es damit ausdrücken, dass Malerei am besten funktioniert, wenn ich einfach regelmäßig arbeite. Ich fange an und ich höre auf, ich fange an und ich höre auf und zwischendurch gibt es mal ein paar Momente, dann denke ich: So das ist jetzt aber ganz gut, was da gerade entstanden ist. Und ich stelle es vielleicht zur Seite, aber ich mache kein großes Ding raus und dann mache ich weiter. Vieles relativiert sich auch nach Tagen wieder und was dann im Laufe eines solchen Prozesses überlebt und letztendlich den Weg findet in diesen Rahmen, das ist dann auch etwas, das weit über das hinausgeht, was ich mir in meinem Kopf ausdenken kann. Ich könnte auch nie ein Bild an einem Tag einfach fertig machen. Wie das manche Kollegen können, besonders bei ausgesprochenen Konzeptkünstlern, da ist die Umsetzung nur noch handwerklicher Akt, den ich mir sehr frustrierend vorstelle, weil es nicht so gut gelingt wie man sich das als Konzept vorgestellt hat.
AF: Manche asiatische Künstler sind ja so drauf, dass sie eben drei Tage meditieren zum Stift greifen eine Linie setzen, einen Schwung, Stempel drauf und fertig ist das Werk. Ein Akt von Sekunden. Aber das ist nicht dein Fall. Wann ist für dich ein Bild fertig, ist das ein emotionaler Zustand wenn du merkst, jetzt ist es soweit oder wie entscheidest du in dem Moment? AP: Meine Arbeit ist geprägt von einer bestimmten Vorstellung. Ich habe eine Vision des Bildes. Eine Erwartung an das Bild, es ist eine bestimmte Kraft und Präsenz, die ich suche. Es ist der Klang oder der Sound den ich suche. Ich weiß nicht immer genau wann es da ist aber ich weiß wann das Bild so in die Nähe kommt und da arbeite ich drauf hin. Manchmal habe ich nach drei bis vier Schichten den Eindruck, das es jetzt schon gelungen ist. Oft geh ich dann aber nochmal rein und dann dauert es weitere sechs Wochen bis dieser Moment wieder eintritt. Dieser Moment ist nicht so klar wie eine rationale Lösung, es ist eine Vorstellung, ein visuelles Konzept dem ich nachgehe. Wenn ich dem nahe komme, dann ist das ein Moment wo ich innehalte, die Bilder beiseite gestellt werden und über Tage, Wochen überprüft werden durch anschauen. Und wenn sie diesen Prozess dann auch durchlebt haben dann sind sie sind in dem Sinne fertig. AF: Viele Bilder sind aus deinen Händen jetzt schon entstanden und wenn du mal rückblickend schaust, bei all diesen Bildern hast du die Entscheidung getroffen, dass ist es jetzt. Wenn du nun in der Rückschau diese Bilder betrachtest, gibt es da bei Arbeiten von vor fünf oder zehn Jahren noch diesen Moment wo du sagst: Dieses Bild hat auch jetzt noch eine Faszination für mich. AP: Ja, das gibt es zum Glück sehr oft, es gibt viele Bilder, die gerade mit der Zeit für mich an Kraft gewinnen. Und es gibt Arbeiten, die ich nach zwölf Jahren nochmal übermale, die ich also aufhebe: Das war damals gut, aber das funktioniert jetzt nicht mehr. Aber viele Arbeiten werden gerade nach vielen Jahren für mich ganz auf eine ganz neue Art interessant, weil ich mittlerweile so eine Distanz zu ihnen habe, um wirklich erleben zu können, was ich da gemacht habe. AF: Du sprichst vom Klang in deinen Bildern, könntest du mit der neben dir stehenden Gitarre diese Bilder nachspielen? Im Sinne einer synästhetischen Idee? AP: Das könnte ich bestimmt nicht. Aber es gibt zwischen Musik und visueller Gestaltung jede Menge Bezüge, die mich schon seit vielen Jahren faszinieren. Wenn ich über Bilder rede, dann greife ich schnell zu eigentlich musikalischen Begriffe: Rhythmus, Klänge, Akkorde, Harmonien und Zusammenklang. Da bin ich nicht der Einzige. Mich fasziniert Musik, musikalischen Komposition und besonders Neue Musik finde ich sehr spannend, die losgelöst von harmonischen Konzepten anfängt mit Geräuschen zu arbeiten, mit Klingeln, Glocken oder Knarren von Türen. Wenn ich einer solchen Musik zuhöre, dann erlebe ich einen ganz offenen Raum beim Hören. Das entspricht auch dem Erleben, wenn ich guter Malerei gegenüberstehe, das erzeugt auch einen solchen offenen Raum in mir. AF: Es gibt ja Aufzeichnungen von Neuer Musik, oder das was wir heutzutage unter neuerer Musik verstehen, das ist manchmal in unseren Ohren so revolutionär, dass man sagen möchte: Das ist ein Zeitgeschehen. Wenn man dann genauer hinschaut, dann stammt diese Musik aus den 50er oder 60er Jahren. Ist im Grunde also schon Historie. Es gibt da eine ganze Reihe von Aufzeichnungen auch von eben dieser Musik und das wirkt wie eine Grafik oder Bild. Könntest du dir deine Bilder auch in diesem Sinne vorstellen? AP: Das könnte ich mir gut vorstellen, dass jemand meine Bilder in Musik umsetzt oder sie als eine Art von graphischer Notation nutzt, weil ich diese Begrifflichkeiten da sehr klar sehe, also diese Rhythmen, Klänge, Schichten von Tönen übereinander – Akkorde -, das sind Dinge, die sind in den Bildern ganz klar. Ich denke auch dass es möglich ist musikalisch Flächen in Geräusche umzusetzen. AF: Vielleicht abschließend noch die Frage: Du hast ja auch gegenständliche Phasen gehabt und sowohl menschliche Figuren dargestellt als auch Porträts gezeichnet. Du hast dich auf Landschaft bezogen. Was hat dich bewogen diese Ebene zu verlassen und dann in diese Ungegenständlichkeit oder eben diese Malerei mit Farbe und Form überzugehen. AP: Die Frage ist eher: Was hat mich bewogen in die figürliche Malerei rein zu gehen. Das war eine Suche nach Neuem. Also eine Suche ausgehend von meiner abstrakten malerischen Arbeit. Eine Hinterfragung: Was ist da eigentlich? Was liegt da meiner Abstraktion zugrunde? Zum Beispiel die Landschaft oder auch das Porträt. Es ist immer eine Suche nach Möglichkeiten. Ich habe mich zwei, drei Jahre allein mit diesem Landschaftsthema auseinandergesetzt. Ich habe auch 2020 wieder viele landschaftliche Motive gemacht auf Papier. Einfach um nochmal einen Input für diese abstrakte Arbeit zu bekommen. Dieser landschaftliche Bezug meiner Bilder, der ist durchaus da. Ich merke, dass es mir gut tut, mich zwischendurch mit Bäumen und Landschaft und weit zu beschäftigen, weil es mich einfach inspiriert. Ich sehe mich trotzdem nicht als Landschaftsmaler. AF: Ich danke für dieses Gespräch für dieses Gespräch. Es war eine Freude und Herausforderungen gleichzeitig.
|
- Details
- Zugriffe: 1512
Einführung zur Ausstellung Axel Plöger. Sessions – Zeit und Farbe am 1. September 2024
in der Alten Synagoge des Kunstvereins Oerlinghausen
Jara Lahme
Vielen Dank, Frau Müller-Borchert, für die einleitenden Worte und die Vorstellung. Herzlich Willkommen auch von mir zur Ausstellungseröffnung von Axel Plöger. Sessions – Zeit und Farbe.
Ich möchte zu Beginn vor allem Axel danken, dass ich heute die Einführung in die Ausstellung sowie sein Werk geben darf. Ich freue mich besonders über diese Möglichkeit, da ich nicht nur als Kunsthistorikerin, sondern auch als Stieftochter von Axel hier stehen darf, der mich nun schon viele Jahre meines Lebens begleitet und geprägt hat. Hätte ich nicht einen großen Teil meiner Jugend in seinem Atelier und zwischen seinen Werken verbracht, so hätte ich wohl kaum Kunstgeschichte studiert und würde heute nicht vor Ihnen stehen. Ich freue mich also sehr darüber, Ihnen einige Impulse und Gedanken mit auf den Ausstellungsrundgang geben zu dürfen und im Laufe der Eröffnung mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.
Die Verbindung zwischen Axel und mir bietet mir nun auch eine passende Überleitung, um näher über diese Ausstellung zu sprechen, denn es geht in der Ausstellung und in Axels Werk immer wieder um Linien, Netze und Gitter – im weitesten Sinne also um Verbindungen. Visuell können diese als Pinselstrichverflechtungen auf den Bildern schnell wahrgenommen werden, doch spiegeln sie sich nicht bloß in den Einzelwerken wider, sondern lassen sich über mehrere Jahrzehnte hinweg immer wieder in den Arbeiten entdecken. Die Linie als Einzelnes sowie in ihren komplexen Rasterkompositionen nehmen im Werk eine wichtige Rolle ein. Sie können als malerische Interventionen in die Flächen verstanden werden und bilden durch die stetige Wiederkehr im Gesamtwerk eine motivische Kontingenz. Die vom Künstler intendierten Querbezüge zwischen den Werken kreieren folglich nicht nur ein visuelles Netz, sondern bilden im Œuvre eine dialogisch verwobene Netzwerkstruktur. Diese Rückund Querbezüge in Werk und Zeit können als Ausgangspunkte für diese Ausstellung verstanden werden. Im Mittelpunkt steht das Frühwerk Amazonía von 1999, das Sie hier an zentraler Stelle sehen können. Es ist das einzige frühe Werk, das in dieser Ausstellung zu sehen ist. Von ihm aus erstrecken sich die Verbindungen in den Raum, die sich dann mit den neuen Werken aus den letzten beiden Jahren verknüpfen lassen. So wird das Netz zwischen Werk, Künstler und Betrachtenden gespannt.
Das Werk Amazonía wurde in den letzten zwei Jahren vom Künstler bewusst mit in den Malprozess eingebunden. Es ist eines von drei Bildern, das während der sechsjährigen Zeit in Lima entstanden und noch in seinem Besitz ist. Das nun 25 Jahre alte Bild hing seit dieser Zeit im Atelier und begleitete, inspirierte und beflügelte ihn, im Rückblick auf diese Schaffensphase die netzartigen Strukturen wieder aufzugreifen. Die Fokussierung lag dabei bewusst auf dem Malprozess in seinen in sich abgeschlossenen Ebenen und auf der Ausdruckskraft des frühen Werkes. Die Entwicklungen und Veränderungen der Arbeiten von 1999 bis heute hat er nun auch in einer ausgewählten Zusammenstellung im Katalog Reflexionen verarbeitet, der zu dieser Ausstellung erschienen und natürlich auch käuflich zu erwerben ist.
Neben Amazonía begegnen wir heute einer Werkauswahl aus den fünf Serien Volver, Reflexionen, Dances, Flow und Lethe, die 2023 und 2024 entstanden sind. Die Arbeiten aus der Serie Volver (ein Titel, der aus dem Spanischen kommt und im Deutschen zurückkehren bzw. wiederkommen bedeutet), sind mit bewusstem Einbezug der Arbeit Amazonía entstanden und weisen daher eindeutige motivische Rückbezüge zu diesem Frühwerk auf. Im direkten Vergleich werden Ähnlichkeiten sichtbar, die sich in den leinwandübergreifenden Rastern und Gittern zeigen, die mal symmetrisch oder asymmetrisch übereinanderliegen.
Neben zeitlichen Rückbezügen innerhalb des Gesamtwerks spielt die Zeitlichkeit der künstlerischen Ausführung, also die Zeitlichkeit während des Entstehungsprozesses der Werke, bereits seit seinem Studium eine ebenso wichtige Rolle. So setzt sich der Künstler ein Zeitlimit, wie bei den Arbeiten aus den Serien Flow und Lethe und arbeitet in zeitlich begrenzten und voneinander getrennten Drei-bis-fünf-Minuten-Sessions. Sobald die Session vorbei ist, ist auch dieser Arbeitsabschnitt fertig; keine Veränderungen, keine Korrekturen mehr. Die Arbeit wird in ihrem Zustand angenommen, ohne während des Malprozesses in eine distanzierte Wahrnehmung zu gehen. Die Arbeiten der Serie Flow entstehen also aus ebendem: einem Mal-Flow (engl.) bzw. aus einer Bewegung, aus einem momentanen Impuls heraus, ohne bewusste konzeptionelle Planung. Dem gegenüber ist das Wort Lethe, wie so oft in seinen Titeln, aus der griechischen Mythologie entlehnt und benennt hier den
Fluss des Vergessens. Die Sessions stellen also die Form dar, um den Prozesscharakter des Werkes mehr zu fokussieren und diesen auch im Bild spürbar werden zu lassen. Es geht nicht um das ‚perfekte‘ Bild, sondern um den Weg dahin – die sichtbaren Arbeitsschritte mit Anfang und Ende, den sinnlichen Mal-Flow.
Auch die drei Arbeiten aus der Serie Reflexionen entstanden in Mal-Sessions. Ihnen liegt allerdings im Gegensatz zur Serie Flow schon vor der Ausführung ein farbliches Konzept zugrunde: vom Dunklen, meist Schwarzen zum Hellen. Ein Prozess des Auftragens mehrerer Farbschichten, die dunkel beginnen und immer heller werden und stark monochromen Charakter haben. Die so entstandenen kontrastreichen Arbeiten werden so zu einer zeitlichen wie farblichen Momentaufnahme einer Sequenz von Dunkel zu Hell, von der Nacht zum Tag oder als Lichtreflexion auf einer Oberfläche, die Licht in den Schatten wirft.
Die fünfte Serie Dances, von der hier heute zwei zu sehen sind: Dances Nr. 1 und Nr. 5, besteht aus großformatigen Werken, deren Entstehung ein improvisierender Charakter zugrunde liegt. Sie können analog zur Improvisation in der Jazzmusik gelesen werden, die die Inspiration für die Serie darstellt. Sie spiegelt sich im spontanen künstlerischen Prozess wider. Ohne geplante Komposition ergibt sich ein freies sinnliches Spiel der Entwicklungen von Formen und Linien, die aufeinanderliegen und ineinandergreifen. Besonders in der Arbeit Dances Nr. 5 lösen sich die Formen von der Linearität und gewinnen an Fülle, Rundung und Figürlichkeit.
Die Reduktion von Komplexitäten auf Formen, Flächen und Linie, der Akt des Malens und die prozesshafte Entwicklung und Akzeptanz von der Veränderung des Bildes zeigen die Wertigkeit, die der Formund Farbsprache im Werk beigemessen wird. Das Malen der Linie – ob als bedächtig aufgetragener Pinselstrich oder schnell gezogene Linie eines großen Gitters oder wirren Geflechts – weist auf die bewusste Ausführung und Anerkennung des Prozesses hin, die um die sinnliche sowie berührende Qualität von Linie und Farbe erweitert werden. Die pastosen, reliefartigen Spuren des Malens werden sozusagen zum Duktus eines Gefühls. In ihrer Einfachheit avancieren Zeit, Form und Farbe zu autobiografischen Ausdrucksmitteln der Komplexität von Alltag und Lebensrealitäten.
Wie wir die Werke nun wahrnehmen, welchen Zugang jede und jeder Einzelne zu den Wer-
ken wählt, ist uns selbst überlassen. Abstraktion ist scheinbar allgemein verständlich und in der Begegnung doch so individuell. Kunstwerke ohne vorgegeben Leseund Interpretationsanweisungen überlassen den Zugang uns selbst und fordern uns dabei heraus, uns als Betrachtende auf sie einzulassen und überhaupt eine eigene Begegnung zuzulassen – völlig unabhängig von der gewollten Intention des Künstlers.
Nun möchte ich Ihnen die eigene Begegnung mit den einzelnen Werken überlassen, gehen Sie auf ihre eigene Reise, nehmen Sie wahr – tauchen Sie in die Farben und Formen ein und halten Sie die Zeit für sich einen Moment an.
Gerne stehen Axel und auch ich weiterhin für Gespräche bereit. Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen schönen Ausstellungsbesuch.
Introduction to the exhibition Axel Plöger. Sessions – Time and Colour on 1 September 2024 at 11.30 am in the Old Synagogue of the Kunstverein Oerlinghausen
Jara Lahme
Thank you very much, Mrs Müller-Borchert, for the introductory words and the presentation. A warm welcome also from me to the opening of Axel Plöger's exhibition Sessions – Time and Colour.
I would like to begin by thanking Axel in particular for allowing me to introduce the exhibition and his work today. I am particularly pleased about this opportunity, as I am here not only as an art historian, but also as the stepdaughter of Axel, who has accompanied and influenced me for many years of my life. If I had not spent a large part of my youth in his studio and among his works, I would hardly have studied art history and would not be standing before you today. I am therefore very pleased to be able to give you some ideas and thoughts on the exhibition tour and to be able to talk to you during the opening.
The connection between Axel and myself now also provides me with a suitable transition to talk about this exhibition in more detail, because the exhibition and Axel's work are always about lines, nets and grids – in the broadest sense about connections. Visually,
these can be quickly perceived as brushstroke interweavings in the paintings, but they are not only reflected in the individual works, but can be discovered again and again in the works over several decades. The line as an individual element and in its complex grid compositions play an important role in the work. They can be understood as painterly interventions in the surfaces and form a motivic contingency through their constant recurrence in the overall work. The cross-references between the works intended by the artist thus not only create a visual network, but also form a network structure interwoven in dialogue within the oeuvre. These references and cross-references in the work and time can be understood as starting points for this exhibition. At the centre is the early work Amazonía from 1999, which you can see here in a central position. It is the only early work on show in this exhibition. From it, the connections extend into the room, which can then be linked with the new works from the last two years. In this way, the net between work, artist and viewer is stretched.
The work Amazonía was consciously integrated into the painting process by the artist over the last two years. It is one of three paintings created during the six-year period in Lima and is still in his possession. The painting, which is now 25 years old, has been hanging in his studio since that time and has accompanied, inspired and encouraged him to return to the net-like structures when looking back on this creative phase. He deliberately focussed on the painting process in its self-contained levels and on the expressive power of the early work. He has now also processed the developments and changes in the works from 1999 to the present day in a selected compilation in the catalogue Reflexionen (reflections), which was published for this exhibition and is of course also available for purchase.
In addition to Amazonía, today we encounter a selection of works from the five series Volver, Reflexions, Dances, Flow and Lethe, which were created in 2023 and 2024. The works from the Volver series (a title that comes from the Spanish and means to return or come back in German) were created with the deliberate inclusion of the work Amazonía and therefore show clear motivic references to this early work. In direct comparison, similarities become apparent in the grids and lattices across the canvas, which are sometimes symmetrically or asymmetrically superimposed.
In addition to temporal references within the overall work, the temporality of the artistic execution, i.e. the temporality during the creation process of the works, has played an equally important role since his studies. For example, the artist sets himself a time limit, as in the works from the Flow and Lethe series, and works in time-limited and separate three-to five-minute sessions. As soon as the session is over, this stage of the work is also finished; no more changes, no more corrections. The work is accepted as it is, without entering into a distanced perception during the painting process. The works in the Flow series are thus created from the same thing: a painting flow or from a movement, from a momentary impulse, without conscious conceptual planning. In contrast, the word Lethe, as so often in his titles, is borrowed from Greek mythology and here denotes the flow of forgetting. The sessions thus represent the form for focussing more on the process character of the work and making this perceptible in the image. It is not about the ‘perfect’ picture, but about the path to it – the visible work steps with beginning and end, the sensual flow of painting.
The three works from the Reflections series were also created in painting sessions. However, in contrast to the Flow series, they are based on a colour concept even before execution: from dark, mostly black, to light. A process of applying several layers of colour that begin dark and become lighter and lighter and have a strong monochrome character. The resulting high-contrast works thus become a snapshot in time and colour of a sequence from dark to light, from night to day or as a reflection of light on a surface that casts light into shadow.
The fifth series, Dances, two of which can be seen here today: Dances No. 1 and No. 5) consists of large-format works whose creation is based on improvisation. They can be read as analogous to improvisation in jazz music, which is the inspiration for the series. It is reflected in the spontaneous artistic process. Without a planned composition, the result is a free, sensual interplay of developing forms and lines that overlap and interlock. In the work Dances No. 5 in particular, the forms detach themselves from linearity and gain in fullness, roundness and figurativeness.
The reduction of complexities to forms, surfaces and lines, the act of painting and the processual development and acceptance of the changes in the picture show the value
attached to the language of form and colour in the work. The painting of the line – whether as a carefully applied brushstroke or the quickly drawn line of a large grid or tangled weave – points to the conscious execution and recognition of the process, which is enhanced by the sensual and touching quality of line and colour. The impasto, relieflike traces of painting become, as it were, the ductus of a feeling. In their simplicity, time, form and colour become autobiographical means of expressing the complexity of everyday life and realities.
How we perceive the works, which approach each individual chooses to the works, is up to us. Abstraction is seemingly universally understandable and yet so individual in the encounter. Works of art without predetermined reading and interpretation instructions leave the approach up to us and challenge us as viewers to engage with them and allow our own encounter completely independent of the artist's intentions.
Now I would like to leave you to your own encounter with the individual works, go on your own journey, take note – immerse yourself in the colours and shapes and stop time for yourself for a moment.
Axel and I will be happy to continue talking to you. Thank you very much for your attention and I wish you a pleasant visit to the exhibition.
01.09.19 Jara Pauline Lahme |
01.09.19 Jara Pauline Lahme |