Axel Plöger - Malerei
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32756 Detmold
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Ousia - Zum Wesentlichen in der Malerei von Axel Plöger

Prof. Dr. Andreas Beaugrand

 

Die wahrnehmbare Welt verändert sich sekundenschnell, man kommt kaum hinterher, und jetzt schreiben Bots die Kunsttexte: „Introducing the new AI-powered Bing with ChatGPT’s GPT-41.. Search the way you talk, text and think. Get complete answers to complex searches, chat and create.” Genau das, die Maschine nach der Kunst von Axel Plöger zu fragen, habe ich gemacht und diese Antwort bekommen: „Seine abstrakte Malerei ermöglicht es, sich 
von der Darstellung realer Objekte zu lösen und stattdessen Formen, Farben und Kompositionen zu erforschen. Sie eröffnet eine Welt der kreativen Freiheit und individuellen Ausdrucksmöglichkeiten. Ob geometrische Abstraktion, informelle Malerei oder expressive Farbkompositionen – 
die abstrakte Malerei bietet eine breite Palette an Stilen 
und Techniken, die von Künstlern auf der ganzen Welt 
erkundet werden.“


Das hat der Algorithmus an sich nicht schlecht ‚erkannt‘, doch zugleich eine Binsenwahrheit generiert. Etwas fehlt jedoch. Dies spürt jeder, der das liest oder sich durch Atelierbesuche im Detmolder Atelier Axel Plögers einen eigenen Eindruck verschafft. Sein Atelier befindet sich in der ersten Etage eines 1990er-Jahre-Wohn-und-Geschäftshauses in direkter Nachbarschaft zu Detmolds früherem Industrieareal zwischen Bahnhof- und Temdestraße, wo unlängst die baulichen Überreste der 1911 gegründeten und bereits 1986 untergegangenen Lampenfirma TEMDE – Akronym aus dem Namen Theodor Müller, Vater des Firmengründers, und dem Unternehmenssitz Detmold – CO2-unneutral abgerissen wurden und das 12.500 m² große Industriebrachenareal für ‚neues Arbeiten und Wohnen in der City‘ aufbereitet wird: Ehemals soziokulturelle Urbanität, in der vielfach eine künstlerisch-kreative Szene entsteht, weicht bedauerlicherweise langweiliger zeitgenössischer Verwaltungsarchitektur und typisch sterilen 3D-Architektursoftware-Wohnungsbau- planungen der 2020er-Jahre2.


Durch das Treppenhaus gelangt man in die erste Etage und Axel Plöger begrüßt den Besucher in der Ateliertür. Im Eingang eröffnet sich der Blick zu einem großen Atelierraum mit Bildern, Büchern, Tischen, Stühlen, Regalen, Farben, Pinseln und Werkzeugen, mit Sofaecke, Musikanlage, kleinem Kaffeekochtisch und vielem mehr. Richtung Nordwesten die Aussicht auf Detmolds oben beschriebenes früheres Industriezentrum im Umfeld der Bahngleisanlagen, Richtung Nordosten der Blick auf ‚berlinisch‘ anmutende Häuser und Hausdächer, und im Atelier die Fülle an im Entstehen begriffenen und abgeschlossenen Werken aus den vergangenen 30 Jahren, letzten Monaten, Wochen wie auch Tagen. Hier arbeitet der 1966 in Detmold geborene Künstler, genau hier finden seine Kunstarbeit, Kunstkurse für Liebhaberinnen und Liebhaber, Literatur- und Musikveranstaltungen, Offene-Atelier-Veranstaltungen, Gespräche zur Kunst statt, hier fühlt man Malerei, Biografisches, Authentisches – erlebbar wird künstlerische Atmosphäre par excellence, die sich aus Offenheit und Ehrlichkeit, Lebenserfahrung und Freundlichkeit, Können und Wissen, Denken und Fühlen speist. Hier entsteht Kunst, hier entfalten sich Gedanken zu Gesprächen, zu denen der Künstler gerne bereit ist – eine nicht selbstverständliche Besonderheit, denn Kunst spricht eigentlich für sich. So sah es auch der Kölner Maler, Zeichner und Grafiker W. Gies, als ich ihn vor gut drei Jahrzehnten fragte, was denn seine Bilder bedeuten und darstellen sollen, und der ebenso legendär wie lapidar antwortete: „Das sieht man doch.3“ 

Axel Plöger hingegen spricht dankenswerter Weise über sich, sein Leben und seine Kunst und leistet damit Übersetzungshilfen zum nachvollziehbaren Verstehen seiner Malerei. Er hat sich biografisch aus den Fängen seines Elternhauses im Umfeld des „Eldorados des lippischen Beamtentums Detmold“ (Peter Steinbach4) befreit – hier arbeitete sein Vater als Angestellter im Öffentlichen Dienst –, indem er seine Heimatstadt schon früh in Richtung Kunstarbeit verlassen und sich für ein Leben mit Kunst und Kultur entschieden hat. Nach seinem Studium an der Hochschule der bildenden Künste (HbK) in Kassel bei Dorothee von Windheim von 1988 bis 1994 lebte und arbeitete Axel Plöger von 1996 bis 2001 in Lima (Peru) 
und ist seitdem wieder in Detmold zu Hause. Hier hat er sich durch zahlreiche regionale, nationale und internationale Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen sowie durch sein interkulturelles Engagement längst einen Namen gemacht5, ohne jedoch – völlig unverständlich – seine Kunst in der Alten Synagoge des Kunstvereins Oerlinghausen zu präsentieren. Mit gutem Grund aber tragen wir nun die sprichwörtlichen Eulen nach Athen und zeigen den Detmolder Künstler Axel Plöger 2024 in der Alten Synagoge des Kunst-vereins Oerlinghausen. Er malt seit seinen künstlerischen Anfängen über viele biografische Wege und Umwege hinweg bis heute authentische Bilder, die grundsätzlich den Urgrund seines Umgangs mit Malerei widerspiegeln. Seine Bemerkungen zu seiner vom 30. Juni bis zum 31. Juli 1994 in der Produzentengalerie Kassel ausgestellten Abschlussarbeit an der HbK Kassel belegen dies und bezeugen zugleich die Gültigkeit:


„1.1.94

Zu meiner Arbeit als Maler etwas zu sagen, ist schwierig. Wenn mir ein Bild gelungen ist, fragt mich keiner nach dem Warum, und wenn es mir nicht gelingt, dann fehlen mir die Begriffe, um mein Malen zu erklären [...]. 
Das Malen scheint sinnlos und das Bild scheint sinnvoll. Das ist ein Paradox und ich kann es nicht erklären, ohne den gegenteiligen Schein zu erzeugen.


12.1.94

Ich glaube an das Bild als ermalte Oberfläche.


29.1.94 

Ich bin Maler.
Ich reagiere auf Malerei, mich interessiert die Farbe, die Zerstörung, die Suche zwischen den Bildern und Vorbildern. Der nie sichere eigene Blick in die Malerei.


8.3.94 

Wenn ich ein paar Tage nicht gemalt habe, dann stehe ich distanzierter vor der Oberfläche meiner Bilder. 
Ich weiß dann sehr gut, welches Bild mir gefällt und welches wegfällt, abfällt.
Aber um wieder zu arbeiten, nehme ich gerne das aussichtsloseste, mir am fremdesten scheinende Bild 
und greife wieder ein; es wird zur Arbeit, zum Malobjekt 
durch mein Eingreifen. 
Am ehesten mit einem dreckigen Pinsel aus dem Wassereimer, noch mit den Farbresten der letzten Woche. Einen Schritt weiter und wieder in die Malerei. 


9.4.94 

Der Zufälligkeit, scheinbaren Beliebigkeit des an Automatismus grenzenden Setzens der Linien, Formen und Verwischungen stelle ich das davon konsequent getrennte Betrachten, Sehen und Wahrnehmen des gesamten Bildes gegenüber, bezeichnet durch eine Linie auf dem Boden meines Arbeitsplatzes. Die Trennung von Auge und Hand wird durch diese Linie bezeichnet.
Somit sehe ich auch das Gemalte, das entstandene Bild wieder als Arbeitsgrund, als Malgrund für meine neue Setzung an, die dann wieder frei und sich selbst entsprechend aus einer spontanen Geste (im Sinne von malerischer Setzung) heraus entsteht. [...]
Meine Malerei ist immer schon stark beeinflusst von der Tradition der Tafelbildmalerei [...] und gerade die Befreiung des Tafelbildes von seiner Funktion als zwangsläufige Bühne für Malerei hat ein selbstständiges Medium geschaffen, 
das sich seiner eigenen Möglichkeiten immer mehr bewusst wird. [...] 
Es gilt also, dem Tafelbild durch neue Fragen eine neue Funktion zu ermöglichen, [...] es bleibt aktuell als eigenständiges Medium. 
Wenn ich einen Klumpen rosa Farbe auf die Leinwand klatsche, scheint das die Zerstörung des Tafelbildes zu sein, aber die Farbe bleibt haften und verbindet sich mit ihm. 


11.4.94

Die Farbe der Dinge ist die Erinnerung des Wesentlichen. 


29.5.94

Die Augen sind Sensoren, sie reagieren auf optische Kontraste. Das Bild entsteht im Kopf. 
Das Wesen der Dinge ist in uns wirklich. [...]6“


Bereits vor 30 Jahren hat Axel Plöger damit zum Ausdruck gebracht, worin er das Wesentliche seiner Kunst sieht – ein Anfangs- und Ausgangspunkt, den Mayarí Granados, die Kunstreferentin der Kulturagentur des Landesverbandes Lippe, 2012 einmal mehr bestätigt und gedanklich erweitert hat: „Er ging als Künstler den Weg von einer gestischen, ungegenständlichen Malweise, die ihn während seines Studiums an der HbK Kassel prägte, hin zu einer expressiven Gegenständlichkeit, von dort dann wieder zur Abstraktion und Ungegenständlichkeit, kombiniert mit einigen gegenständlichen Elementen.
Sein kräftiger, gestischer Pinselstrich und der expressive Einsatz der Farbe blieben in allen Werkphasen erhalten. So hat der Künstler in der jüngsten Werkgruppe sein Farbkonzept erweitert und ist im Einsatz der Vielfarbigkeit wesentlich freier und experimenteller geworden. Plögers Entwicklung zeugt von Konsequenz: So ist er nie auf einer Stelle geblieben, befindet sich immer auf der Suche.7“


Bei dieser Suche hat Axel Plöger schon seit vielen Jahren die Gegenständlichkeit vollkommen verlassen und sich der reinen Malerei gewidmet. Ähnlich den Künstlerinnen und Künstlern des Expressionismus ist Axel Plöger nicht die wirklichkeitsgetreue Weitergabe von Eindrücken wichtig, sondern die Veranschaulichung eines durchdachten und ‚durchfühlt‘ interpretierten Motivs, das er nicht mit Sprache und Schrift, sondern mit den Mitteln der Kunst beschreibt. Über viele Jahre ist er dieser Intention in zahlreichen Werken gefolgt, stets getrieben von dem Wunsch und der Vorstellung, ein neues, vielleicht ureigentliches und damit im wahrsten Wortsinne wesentliches Bild zu schaffen – nämlich das Bild, das zeigt, woraus im philosophischen Sinne letztlich alles besteht: aus dem „Sein“, dem „Wesen“, wörtlich: der „Seiendheit“ – aus der Ousia – ein Begriff, der von Platon (etwa 428–348 v. Chr.), dem antiken Philosophen aus Athen, eingeführt wurde und mit dem er zum Ausdruck brachte, dass etwas Existenzielles die Eigenschaft hat, im Sinne eines beständigen Seins ‚seiend‘, also dauerhaft wirklich und wesentlich zu sein8. Es geht Axel Plöger in seiner Malerei seit vielen Jahren darum, die Daseins- und Erscheinungsformen menschlicher Existenz im Verhältnis zueinander, in dieser Welt und durchaus auch zu einer transzendenten Dimension mit den Mitteln seiner Malerei zu erfassen und ihr dadurch Gültigkeit zu geben. Unangepasst an ‚die Szene‘ und im konsequenten Widerspruch zum Zeitgeist mit seinen immer wieder wechselnden Trends hat Plöger eine eigene Bildsprache entwickelt und sie ebenso unerschütterlich wie konsequent weiterentwickelt, und so die sinnliche Vitalität seiner Werke zum Ausdruck gebracht.


Entscheidende Voraussetzung für die außergewöhnliche Kunst Plögers ist sein Einfallsreichtum und seine Abkehr von überlieferter Kunst, die ihm zwar äußerst vertraut ist, deren Spielregeln er jedoch stets aufs Neue unterläuft. Er fühlte sich schon zu Beginn seiner Zeit als freischaffender Künstler weder vom kulturellen Prozess allzu sehr berührt, noch wollte er als Künstler allzu intensiv an ihm teilhaben. 
Diese Positionsbestimmung erlaubt es ihm bis heute, mit den Vorstellungen von ‚seiner‘ Kunst den Rahmen enger Gattungsgrenzen zu sprengen, sich alle Freiheiten im Einsatz von Farbe zu nehmen und Übereinkünfte formaler Gestaltung zu missachten. So erreichen seine Werke die Unabhängigkeit, die er auch persönlich anstrebt, um seine eigene Bildwelt zu erfinden, die von elementarer Ausdruckskraft ist und ungeahnte Freiräume für die Fantasie eröffnet. Das ist das Bleibende und Wesentliche seiner Kunst – eben Ousia – und die hat mit den programmgenerierten Oberflächlichkeiten der eingangs genutzten Künstlichen Intelligenz rein gar nichts zu tun. Und das ist gut so.

 

1. Siehe Copilot mit GPT-4 (bing.com).

2. Vgl. Stadt Detmold: Stadt Detmold erwirbt ehemaliges Temde-Gelände, in: https://www.detmold.de/startseite/news/news-single-view/?no_cache=1&tx_news_pi1%5Bnews%5D=1328&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=e692d0e568185444168202c5a17594d5 vom 4.6.2020 (22.3.2024) sowie u.a. Raphael Bartling: Temde-Leuchtenfabrik könnte Wohnquartier für Studenten werden, in: Lippische Landeszeitung vom 10.2.2011, und Ders.: Umbau-Pläne des Temde-Geländes in Detmold werden immer konkreter, in: Lippische Landeszeitung vom 13.2.2024.

3. Andreas Beaugrand im Gespräch mit W. Gies, 1945 geboren als Maria Wilhelm Friedrich Gies, in seinem Kölner Atelier während der Ausstellungsvorbereitungen zum Projekt W. Gies im Waldhof, Bielefelder Kunstverein 1993.

4. Vgl. Peter Steinbach (1948 im lippischen Lage geboren und als Politikwissenschaftler und Historiker weithin bekannt): Industrialisierung und Sozialsystem im Fürstentum Lippe. Zum Verhältnis von Gesellschaftsstruktur und Sozialverhalten einer verspätet industrialisierten Region im 19. Jahrhundert, mit einem statistischen Anhang, Geleitwort von Otto Büsch (= Historische und pädagogische Studien, Band 7, teilweise als Lippische Studien, Band 3), Berlin 1976.

5. Siehe dazu den Vita.

6. Axel Plöger: Ohne Titel (Handreichung zum Studienabschluss), Kassel 1994.

7. Mayarí Granados: „Golden Slumber“. Von der Suche nach den Erinnerungen, in: DISPLACE-Verlag (Hg.): Axel Plöger. Neue Bilder, Detmold 2012, unpaginiert (S. 4).

8. Je nach Kontext kann Platons Ousia mit ‚Sein‘ (wörtlich: Seiendheit) oder mit ‚Wesen‘ übersetzt werden. Vgl. dazu u.a. Otto Apelt (Bearb.): Platon. Von der Unsterblichkeit der Seele, Köln 2018.